HERVÈ GARCIA GRAND VISAGE
AUSSTELLUNG 15. Februar - 22. März 2025 KÖLN
Ausstellungsansichten © by Simon Vogel, Köln








Werke (zum vergrößern auf Foto klicken) © by Simon Vogel, Köln
Die Ausstellung Grand Visage in der Galerie Norbert Arns präsentiert Gemälde des französischen Künstlers Hervé Garcia. Garcias Malerei folgt einer intuitiven Kartografie, die innere Verschiebungen sichtbar macht. Hat Farbe einen Ort? Und wo liegt er, dieser Ort? Ist sie selbst ein Ort, der sich im Blick verankert? Hervé Garcias Werke verkörpern diese Frage nicht als theoretisches Konzept, sondern als gelebte Praxis. Farbe wird hier zu einer Art Topografie, die als Medium der Bewegung begreifbar wird, als Echo von Spuren, die sich in Schichten von Zeit und Wahrnehmung ablagern. Seine Bilder gleichen fragmentierten Territorien des Sehens, kartografischen Draufsichten, in denen Orientierung aus Abstraktion erwächst.
Linien durchziehen die Bildflächen wie tektonische Brüche. Sie werden zu Farbfeldern, die sich ausbreiten und zurückziehen, einer Logik folgend, die an fließendes Wasser erinnert – ein Motiv, das Garcia während seiner Zeit in Japan als ikonografisches Sujet prägte.
Garcias Zeit in Japan formte sein malerisches Denken. Dort begegnete er dem Wasser nicht nur als Element, sondern als Figur – dem Formlosen, das jede Form annehmen kann, dem Flüchtigen, das sich dennoch verstetigt. Diese Idee des Fließens, des Übergangs, durchzieht auch seine Cahiers, unikatäre Hefte, die als visuelle Notizbücher fungieren. In ihnen sammelt der Künstler Abbildungen, Fragmente, Farbstudien, die sich wie in einem assoziativen Archiv miteinander verknüpfen. Sie erinnern an Aby Warburgs Bilderatlas, weniger in der Struktur als in der Methode: ein visuelles Gedächtnis, das nicht abgeschlossen ist, sondern sich ständig weiter entfaltet.
Garcias Arbeiten sind geprägt von einer stillen Materialität. Leinen, in einem restauratorischen Verfahren aneinandergefügt, bilden die Grundlage für geteilte und collagierte Elemente. Einzelbilder werden zu Bildfeldern, die sich gegenseitig durchkreuzen, überlagern und ergänzen. In dieser Verdichtung entstehen fragmentierte Landschaften, in denen das Fehlen genauso präsent ist wie das Sichtbare: ausgeschnittene Teile, Leerstellen, Abdrücke. Es sind Abbilder einer Abwesenheit, die nicht als Verlust, sondern als Möglichkeit lesbar werden. Hier entstehen zeichnerische Bildwelten, deren Reduktion in der Lage ist, Phänomene freizulegen und erfahrbar zu machen. „Das Sichtbare ist nicht das, was wir sehen, sondern das, was uns sehen lässt“, schreibt Maurice Merleau-Ponty in seiner Phänomenologie der Wahrnehmung (1976).
Grand Visage ist weniger Porträt als ein topografisches Gedicht, das von Passage (Übergang), Âge (Zeit), Mémoire (Gedächtnis) erzählt. Der Titel verweist auf das Gesicht als Fläche und Tiefe zugleich, als Ort der Veränderung. In Garcias Bildern alteriert das Sujet, es verschiebt sich, verliert Konturen, um an anderer Stelle wieder aufzutauchen – nicht als Wiederholung, sondern als Prozess der Transformation, in dem das Bekannte fremd wird und das Fremde vertraut. Es sind Bilder der Möglichkeit, den Unterschied zu manifestieren. Differenz wird hier, im Sinne Deleuzes, zu einer produktiven Kraft, deren Fähigkeit auch darin liegt, Bedeutungen fortwährend zu verschieben.
Vielleicht liegt der Ort der Farbe nicht in ihrer Fixierung, sondern in ihrer Fähigkeit zu bewegen. Vielleicht ist Farbe in Garcias Werk kein statischer Ort, sondern ein Resonanzraum, der die Erinnerung als bewegliches Terrain erfahrbar macht.