Ausstellungsarchiv

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WIM DELVOYE, FORT, GREGOR HILDEBRANDT, ROBERT KRAISS, ALICJA KWADE, ALWIN LAY, OILVER MARK, ANNA VIRNICH, THOMAS ZITZWITZ

DIE VÖGEL DES ZUFALLS

18. November - 10. Dezember 2022

Eine Ausstellung kuratiert von Thomas Zitzwitz


ROBERT ELFGEN

BRÜDER UNGEWISS

7. Oktober - 4. November 2022

Nehmt Abschied Brüder

Ungewiss ist alle Wiederkehr

Die Zukunft liegt in Finsternis

Und macht das Herz uns schwer

Das Lied, „Nehmt Abschied Brüder…“, das gleich in der ersten Strophe den Titel der Ausstellung und deren zentralen Arbeit liefert, basiert auf der Melodie des bekannten „Auld Lang Syne“, was in England traditionell zum Jahreswechsel gesungen wird in Andenken an die Verstorbenen des vorangegangenen Jahres. Claus Ludwig Laue schuf 1946 eine deutsche Version, nachdem er das englische Original womöglich im Kriegsgefangenenlager gehört hatte, gesungen von englischen Soldaten. Robert Elfgen kennt die deutsche Version wiederum aus seiner Kindheit bei den Pfadfindern, wo es zum Abschluss jeder Fahrt oder Zeltlagers gesungen wurde. 

Eine Lagerstatt bildet auch die Szenerie der Ausstellung. Die zentrale Arbeit BRÜDER UNGEWISS besteht aus sechs Teilen. Ein Mond ragt hoch an der Wand über einem Lager mit vier Bettstellen um ein erloschenes Feuer. In Bodenhöhe stehen 4 Bilder, auf Holz gemalt und durch montierte Stoffe ergänzt, im Karree um die Feuerstelle. Auf den Bildern sind drei „Brüder“ zu sehen, schlafend unter karierten Decken. Eine vierte Bettstatt ist leer, die Decke schon (oder noch) zusammengefaltet. Statt eines Schlafenden ist eine leere Landschaft, ein Horizont zu erkennen. Die vier Tafeln sind rings um die Feuerstelle, eine alte Felge mit verkohlten Holzstämme, auf Bodenhöhe an den Wänden montiert. Eine Tafel steht frei im Raum, gestützt von einem gebogenen Holz, das wie ein Ständer eines Zweirads leicht gekippt das Gewicht abfedert. Tatsächlich ein Teil eines Bogens, der hier einem neuen Zweck zugeführt wurde. Elfgen ist bekannt dafür, dass er vorgefundenes Material verwendet für seine Arbeiten. Für diese Ausstellung hat er aber alles mitgebracht oder vielmehr zurückgebracht in seine alte Heimat Weilerswist und Köln, die er erst im Sommer verlassen hatte Richtung Frankreich. Sogar die Buttermilch für die optische Barriere am Schaufenster, dessen untere Hälfte er damit mehrfach übersprühte, stammt aus Frankreich. Der leicht säuerliche Geruch, erzeugt in der Ausstellung ein Stallatmosphäre, was zum Lager der Brüder passt. Man Kann seine Installation auch als einen Abschied ansehen. Im Sommer schloss auch das Dominikanerkloster in der Nachbarschaft der Galerie in der Lindenstraße. Die wenigen schon älteren Brüder zogen noch einmal um. Die Kirche wurde geschlossen. Robert Elfgen hat eine besondere Beziehung zu den Dominikanern in Köln. 15 Jahre führte er die Schreinerei im Dominikanerkloster Walberberg, einen Ableger des Klosters in Köln. Es wurde bereits 2004 geschlossen. BRÜDER UNGEWISS vereint Bilder aus vielen verschiedenen Geschichten, christliche und heidnische. 

Durch den stark narrativen Charakter, lädt BRÜDER UNGEWISS den einzelnen Betrachter schnell dazu ein, sich als Teil der Installation zu empfinden. Das leere vierte Lager könnte dann seines sein. Der einzige Wache also unter den Schlafenden? Der Künstler integriert den Betrachter in die Arbeit, indem er ihn in seine eigene Geschichte zurück schickt. Er beantwortet die Fragen des Betrachters nicht, aber er gibt ihm das Gefühl, dass er sich bei seiner eigenen Geschichte, seiner Interpretation, gesehen fühlen darf und damit in eine Sicherheit, die das ständig Ungewisse beruhigt?

 

RICHARD BURTON

SEINESGLEICHEN GESCHIEHT - The Like of It Now Happens

3. September - 1. Oktober 2022


THOMAS ZITZWITZ

KISS COOL

24. Juni - 24. Juli 2022

Text: Björn Vedder

Le double effet Kiss Cool

Kiss Cool ist ein französisches Bonbon aus den 1990iger Jahren, das es nicht mehr gibt. Die Werbung versprach damals, dass nach der Einnahme nicht nur der Atem cool sei, sondern dass auch noch etwas anderes, magisches passieren würde: le double effet Kiss Cool. Der Slogan ist mittlerweile ein geflügeltes Wort im Französischen. Auch in Filmen taucht es auf, Kiss Cool.
Thomas Zitzwitz hat sich von dieser Redewendung und der damit verbundenen Erfahrung zu einer Ausstellung inspirieren lassen. Sie versammelt Arbeiten, die zum Teil eigens dafür gemalt worden sind und bei denen sich auch für den Maler ein Kiss Cool-Moment eingestellt hat. Das, was wir als Arbeit an der Wand sehen, ist in vielen Fällen ebenfalls das Ergebnis einer überraschenden und magischen Wendung in der Arbeit, die der Künstler nicht vorhergesehen hat und auch nicht vorhersehen konnte. So entstehen die Rakelbilder oft in einer Art Blindflug: Das mit Pigmenten versehene Acrylgel ist, wenn es frisch aufgetragen wird, undurchsichtig und nebelig. Welche Farbwirkung es im getrockneten und klaren Zustand haben wird, und zu welchem Ergebnis der Auftrag mit dem Rakel führen wird, kann der Maler nur ungefähr abschätzen. Er weiß nie genau, was er eigentlich malt und mithin auch nicht, wann das Bild fertig ist – oder er aufhören sollte. Er bricht die Arbeit einfach irgendwann ab und geht nachhause. Erst wenn er am nächsten Morgen in sein Atelier zurückkehrt, sieht er das Ergebnis – und manchmal schenkt ihm dieses einen dieser wunderbaren Kiss Cool-Momente, die wir in der Galerie Norbert Arns nachvollziehen dürfen.
Das Malen der Spraybilder verläuft in dieser Beziehung ganz ähnlich: auch hier muss sich der Maler auf einen Kiss Cool-Moment einlassen. Kunst heißt eben nicht nur, die Kontingenz zuzulassen, sondern auch mit dem Zufall zu spielen. Dieser Lockerheit korrespondiert eine Lockerheit in der Zusammenstellung der Arbeiten, die nicht so streng ist, wie sie es in anderen Ausstellungen des Malers schon gewesen ist.

Küssen verboten
Zitzwitz bezieht sich damit nicht nur auf die Lockerheit und (Erwartungs-) Offenheit des double effet Kiss Cool, sondern auch auf die neuerliche Erfahrung einer sozialen Strenge, die er z. B. dann machte, als eine Freundin sich über die kleinen französischen Küsschen beschwerte, die er ihr zur Begrüßung geben wollte. Die Bise, einst eingeführt, um mit der Nase nah genug an die anderen heranzukommen, damit etwaige Krankheiten gerochen werden konnten, erschienen ihr in Zeiten nach Corona zu gefährlich. Keine Infektions-Prävention, sondern -Provokation. Das ist vielleicht vernünftig – wie ein Essen ohne Dessert –, aber auch hässlich, weil es nicht nur dem Leben die Süße, sondern dem Zusammenleben den Anstand nimmt, der sich in den Bises etwa darin ausdrückt, dass man denjenigen, den man geküsst hat, nicht mehr ignorieren kann, sondern als gleichen anerkennt.

Schleier über dem Abgrund
Diese Anerkenntnis als Gleiche ist die Grundlage dafür, zivilisiert zusammenzuleben, weil sie unsere Selbstliebe beschränkt und dem Umstand Rechnung trägt, dass wir zu Erfüllung unserer Wünsche und Ziele aufeinander angewiesen sind. Wir sind weder wilde Tiere noch leben wir, wie das Rousseau formuliert hat, in einem Naturzustand, in dem wir nur wollen, was wir können, nur die natürliche Selbstliebe kennen und keine Leidenschaften besitzen, als die unschuldigen Triebe, die die Natur uns schenkte. Wir leben hingegen in der Gesellschaft mit anderen. Wir wollen viel mehr, als wir selbst können, und wir sind deshalb von einer schlimmen Selbstliebe beherrscht, die uns antreibt, „einen Platz zu behaupten, mitzuzählen und als etwas angesehen zu werden“. Rousseau nennt sie „amour propre“ und sagt, es sei eine Leidenschaft, die uns versklavt.
Wie aber können Menschen, die voneinander abhängig sind, weil ihre Bedürfnisse sie dazu zwingen, Forderungen aneinander zu stellen, und die gleichzeitig Sklaven ihrer eitlen Selbstliebe sind, gut zusammenleben? Rousseau sagt, in Freiheit, genauer gesagt, indem sie zur Freiheit gezwungen werden. Zu den Mitteln dieses Zwangs gehört etwa das Gesetz, das die Menschen sich selbst geben und dem sie sich insofern freiwillig unterstellen. Dazu gehört aber auch eine zivilisierte Kultur, die es den einzelnen nicht nur erlaubt, ihrer Selbstliebe insoweit zu frönen, als es die der anderen nicht beschränkt, sondern die auch Rituale der wechselseitigen Anerkennung besitzt, in denen die Menschen sich versichern, dass sie sich als Gleiche schätzen. Eines dieser Rituale sind die kleinen Küsschen und es ist nicht recht, sie ob ihrer Oberflächlichkeit zu verspotten, wie das etwa das französische Komiker-Trio Les Inconnus mit ihrem Song „Salut tu vas bien?“ (1991) gemacht hat. Denn natürlich werden die Abgründe der amour propre von ihr genauso wenig gefüllt wie von den Gesetzen und Freiheitsrechten. Sie alle legen sich nur wie ein dünner Schleier über die tiefen Gruben unserer Herzen. Aber immerhin das tun sie, und mehr können wir in einer Gesellschaft aus Individualisten nicht erwarten. Die Zivilisation ist ein Schleier über dem Abgrund.

Forever Young
Damit ähnelt sie, die Zivilisation, den schönen Flächen, die sich in Zitzwitz’ Bildern über eine leere Tiefe spannen. Wir können diese Spannung zwischen Oberfläche und Tiefe in allen Bildern beobachten. Am stärksten ist sie jedoch in den gesprayten Bildern. Sie zeigen ein wogendes Meer von Farben und Formen, schwebende Züge, die nach Art der Wellen sich heben und senken, und sie erzeugen den Eindruck einer großen Tiefe, die darunter liegt. Diese Tiefe ist jedoch ein Effekt der Oberfläche, denn Leinwände sind glatt gespannt und der Eindruck einer Tiefe dahinter ist nur eine Illusion, die wir uns vor dem Bilde machen.
Hier verbinden sich ästhetische und soziale Erfahrungen der Moderne, Malerei und Zivilisation. Hatte das 18. Jahrhundert noch die geschwungen schönen Linien und ineinander fließenden Formen in der Malerei gerügt, weil es darunter eine abgründige Leere witterte (horror vacui), können wir den Sachverhalt mit Zitzwitz auch anders sehen: Was uns von unseren Abgründen trennt, ist nichts als eine schöne Fläche, die darüber liegt. Und mehr noch, auch die Tiefe ist ein Effekt dieser Fläche. Kein Horror mehr vor der Leere, sondern heitere Versöhnung mit der Kontingenz feiern, eine, wie es der Philosoph Richard Rorty gefordert hatte, ironische Distanz einnehmen ­– und trotzdem solidarisch sein.
Die Zeit, in der wir das lernen, ist gemeinhin die Jugend. Denn sie ist das Alter, in dem wir einerseits den Kokon der Kindheit abstreifen und in die Gesellschaft eintreten, in der wir jedoch andererseits auch das erwerben, was uns das Leben unendlich erschwert: eitle Selbstliebe. Auch Erwachsenwerden ist ein double effet Kiss Cool. Die Jugendlichkeit, die Frische und die Heiterkeit in den hier ausgestellten Bildern von Thomas Zitzwitz sind mithin nicht nur eine Hommage an die jeunesse dorée, sondern auch eine Erinnerung an die heikle Phase im Leben eines Menschen, in der sich entscheidet, ob er frei oder als Sklave lebt.

 

MYRIAM RESCH

SEETHROUGH

7. Mai - 20. Juni 2022

Texte: Claudia Tomaschewski

1

Dein Gesicht ist ja voller Fenster! Du solltest sie schließen. So viel frische Luft ist nicht gut. Das verweht die Gedanken. Fenster gibts ja, damit man sie schließen kann, sonst wärens ja Löcher, wie Nasenlöcher zum Beispiel, die man fürs Atmen braucht und fürs Riechen. Für Türen gilt übrigens Ähnliches: Nach Benutzung sind sie umgehend zu schließen. Also nach dem Reingehen sofort zumachen und nach dem Rausgehen bitte ebenfalls. Natürlich kann man Fenster auch öffnen. Um kurz rauszugucken. Guckt man jedoch zu lange, kann man auch gleich rausgehen. Fenster kann man zudem öffnen, um üble Gerüche und Rauch loszuwerden. Aber auch hier gilt: sind Unduft und Qualm weg, Fenster zu! Und bei Hitze? Lässt man Fenster sowieso geschlossen, weil die Hitze ja sonst reinkommt. Alles nicht so schwer zu merken. Mit den Fenstern in Deinem Gesicht hats aber noch eine eigentümliche Bewandtnis. Geschlossen spiegeln sie so schön die Lichter wieder: Sonnenlicht, Mondlicht, Taschenlampenlicht, Schneelicht, Glühwurmlicht, Ampellicht, Kerzenlicht, Blitzlicht... Alles hinterlässt einen so herrlichen Abglanz auf den kleinen Glasscheiben, die wie unwirkliche Drachenschuppen auf Deiner Haut liegen und irisierend funkeln, dass ich gar nicht weiß, ob sie nun blau oder violett sind oder golden oder doch grün. Und so schaue ich Dich an und lasse mich blenden von tausend Funken, die aus Dir kommen. Und dazwischen sehe ich ein bisschen mich, etwas zerteilt und irgendwie schief, aber ich erkenn mich ganz gut, das Wesentliche zeigt sich. Ich hoffe nur, dass Du auch was siehst durch diese schimmernden Flächen, die übrigens herrlich melodische Klirrgeräusche machen, wenn Du lachst. Du klingst wie ein Windspiel. Darin besteht allerdings auch die Gefahr: Wenn Du zu lange lachst oder zu heftig, dann öffnen sich die vielen Fensterchen und man kommt gar nicht mehr hinterher damit, sie wieder zu schließen. Eigentlich schön, wenn Dein Gesicht so bunt flackert. Aber ich bleib dabei: Mach lieber zu. Fenster gibts ja, damit man sie schließen kann, sonst wärens ja Löcher.

2

Sie legt sich hinter seine Augen und schaut hinaus. Kaum erkenntnisreiche Augenblicke, denn sie erkennt nichts. Nicht einmal sein Spiegelbild. Erst denkt sie, das ist sein Bruder. Aber sogar die Bäume und der Himmel, alle Farben sehen merkwürdig aus, wie vertauscht oder was ganz anderes. Vielleicht ist er deswegen so oft still, weil er die Dinge nicht benennen kann. Wie soll man so viel Uneindeutigkeit auch in Worte fassen? Und vielleicht kann er deswegen seinen Bruder nicht leiden, weil er sich von ihm nicht unterscheiden kann. Womöglich eine Art der autogenen Augenwischerei. Das kann man jetzt gut finden oder nicht, aber Tatsache ist: Man muss genau hinschauen! Darf den Blick nicht abwenden! Und wenn man glaubt, etwas zu sehen, dann muss der Blick noch schärfer gestellt werden, bis man die eigentlichen Formen zwischen den Bedeutungen erkennt. Also wandern ihre Augen durch seine an der Welt entlang. Von zinkgelben Dreiecken zu ultramarinen Rechtecken und von rosafarbenen Quadraten zu milchweißen Rauten und bald schon fängt sie an, sich nach Farblosigkeit zu sehnen, nach Klarheit. Und so kriecht sie wieder aus dem Freund heraus, fällt aus seinem Augenwinkel wie ein kleiner Tropfen, der zu einem großen Menschen wird, ganz fest und schwer. Als würde sie zum ersten Mal ihre Augen öffnen, so fühlt sie sich. Hätte sie das gewusst, hätte sie es vielleicht gelassen. Obwohl alles verschwommen ist und die Farben durcheinandergeraten sind, bemerkt sie, wie er sie mit seinen Mosaikaugen, seinen mandelförmigen Kaleidoskopen mustert. Wie lange soll das so bleiben? Hoffentlich nicht länger als ein paar Stunden, denkt sie und will sich hinlegen. Sie bittet ihn um ihre Schlafmaske und darum, die Vorhänge zuzuziehen. Die Dunkelheit sei jetzt wichtig. Sie werde alles wieder richten, den Blick geraderücken und die Farben wieder an ihren Platz zurückbringen. Wenn ich aufwache, sagt sie, wird alles wieder so sein wie immer. Und falls nicht, fährt sie fort, dann werde ich eben wieder hineinmüssen in Dein Panoptikum.

 

ROSINA ROSINSKI

ROSINA

11. März - 24. April 2022