ROSINA ROSINSKI ROSINA
AUSSTELLUNG 11. März - 24. April 2022 KÖLN
Ausstellungsansichten © by Simon Vogel, Köln
Thomas Schuld
E V A A M K R E U Z
Nichts deutete mehr auf die Stelle hin, wo vor langer Zeit sich etwas ereignet hatte. Es war so, als wäre es niemals passiert. Nur einige Bewohner hatten noch eine Ahnung von dem möglichen Ort. Aber die sehr energisch auftretende Dame aus Rom ließ nicht locker. Auf Biegen und Brechen: das dort Versteckte musste gefunden werden.
Denn nur dadurch hatte ihr Sohn die entscheidende Schlacht gewonnen. Vor diesem Waffengang war dem Feldherrn am Himmel über der Sonne ein Kreuz aus Licht erschienen und eine Stimme hatte gerufen: in hoc signo vinces: „In diesem Zeichen wirst du siegen“. Und Christus selbst beauftragte ihn , das Kreuz als Feldzeichen für seine Soldaten zu verwenden. Und daraufhin besiegte Konstantin der Große seinen Gegner Maxentius bei der Schlacht an der Milvischen Brücke im Jahre des Heils 312.
Dies wurde zum Wendepunkt der Weltgeschichte. Von nun an war das Kreuz das Symbol des Imperiums. Aber dies ließ die Kaiserinmutter Helena nicht in Ruhe. In Jerusalem selbst wagte sie das schier aussichtslose. Sie suchte nach dem wirklichen Kreuz, an dem Ort, wo alles stattgefunden hat. Und tatsächlich grub Judas, ein Bürger Jerusalems, der von seinem Vater Kenntnis von dem Ort hatte, an der vermuteten Stelle und zwanzig Schritte unter der Erde fand er drei Kreuze. Aber welches von diesen war nun das, an dem der Heiland gehangen hatte ? Nun mochten sie aber das Kreuz Christi von den Kreuzen der Schächer nicht unterscheiden; darum legten sie die Kreuze mitten in die Stadt und warteten, ob der Herr seine Macht erzeige. Und siehe, um die neunte Stunde trug man einen toten Jüngling vorüber; da hielt Judas die Bahre an und legte das erste und zweite Kreuz über den Toten; aber er rührte sich nicht; aber da man das dritte auf ihn legte, ward der Tote alsbald lebendig.
Aber noch eine andere Person wurde durch das Kreuz geheilt, denn so heißt es weiter: In der Historia Ecclesiastica aber lesen wir, daß der edelsten Frauen eine in der Stadt auf den Tod lag; da ließ Macarius, der Bischof von Jerusalem, das erste und zweite Kreuz auf sie legen, das half ihr nichts; aber da er das dritte über sie tat, schlug sie die Augen auf und war gesund
(Die Legenda aurea des Jacobus de Voragine aus dem Lateinischen übersetzt von Richard Benz. Köln und Olten 1969, S. 355 – 356).
Helena gab sich nicht mit dem Symbol zufrieden. Sie wollte das wirkliche Kreuz in Händen halten. Unter Schutt, Dreck und Müll war das Holz vergraben gewesen. Aber an diesem Holz hing das Heil der Welt, so dachte es Helena. Gott zeigte sich ihr nicht in erhabener Majestät, auf Wolken daher jagend, im Brausen und Stürmen, die Erde erzittern und erbeben lassend, sondern in einem erbärmlichen Stück toter Natur. Ein Stück Holz, an dem Blut, Schweiß und Wasser geklebt, rostige Nägel es durchbohrt hatten.
Aber Helena wusste: dieses Stück Holz, das sie nun in Händen hielt, das als Kreuz auf Golgatha errichtet worden war, kam von ganz weit her. Vom Ursprung aller Zeit her, vom Beginn der Welt.
Dieses Holz stammte nämlich vom Baum der Erkenntnis aus dem Paradies. Von dem Baum, von dem Eva den Apfel, die verbotene Frucht, nahm und Adam reichte, weshalb sie beide aus dem Paradies vertrieben wurden.
Als sich nun aber Adams Leben dem Ende zuneigte und krank wurde: ging sein Sohn Seth an das Tor des irdischen Paradieses und begehrte Öl vom Baume des Mitleidens, daß er den Leib seines Vaters Adam damit salbe und ihn gesund mache. Da erschien ihm der Erzengel Michael und sprach „Trachte nicht das Öl vom Baume des Mitleidens zu erhalten und weine nicht darum, denn das mag dir nicht werden denn vergangen sind fünftausend und fünfhundert Jahr“ […] In einer griechischen Geschichte […] findet man, daß der Engel dem Seth von dem Holze gab, daran Adam gesündigt hatte […] und der Zweig wuchs und ward ein großer Baum [..]Darum nahm Salomo das Holz und ließ es tief im Schoß der Erde vergraben […] Da nun nahete das Leiden Christi, da schwamm das Holz empor […] Und aus diesem Holz wurde dann das Kreuz gefertigt, an dem Jesus starb
(Legenda aurea, a.a.O., S. 349 – 350).
Das Holz, an dem der Erlöser angenagelt wurde, stammte aus dem Paradies, von dem Baume, durch den die Sünde in die Welt gekommen war. Das Kreuz ist demnach aus dem Holz, welches Eva und Adam berührt hatten. Wenn nun der Erlöser genau an diesem Holze durchbohrt wird, so wäscht er damit, mit seinem Blute und Schweiß, die Tat Evas und Adams rein. Mit seinem Schweiß trocknet er den Schweiß, den die Ureltern seit ihrer Vertreibung aus dem Paradies auf ihrem Angesicht tragen.
Der Hl. Ambrosius von Mailand fasste es so in Worte: Das Kreuz Christi hat uns das Paradies zurückgegeben. Das ist der Baum, den der Herr dem Adam als Lebensbaum inmitten des Paradieses bezeichnete […] Darum hat der Herr in Christus das Fleisch mit dem Holze verbunden, auf daß der Hunger der Urzeit aufhöre, die Gnade des Lebens wieder geschenkt werde. O seliger Baum des Herrn, der alle Sünde gekreuzigt, o seliges Fleisch des Herrn, das allen Lebensnahrung dargeboten hat (Patrologia Latina 14, 954).
Wenn Jesus am Kreuze hängt, hängen Adam und Eva mit ihm daran. Ohne ihren Sündenfall gäbe es die Erlösung nicht.
Im Paradies lebten die Ureltern in Eintracht und Harmonie mit den Tieren und Pflanzen. Sie aßen nur von den Früchten, die herabfielen. Kein Leid, kein Schmerz, kein Tod existierten dort.
Ihre Nacktheit war ihnen selbstverständlich. Mit Gott sprachen sie in der Ursprache der Laute.
Aber seit der Vertreibung aus dem Paradies seufzt die ganze Schöpfung . Auch die Tiere sehnen sich nach der Befreiung aus ihrer kreatürlichen Hinfälligkeit. Aber sie bleiben eingespannt zwischen Laster und Verheißung. Seitdem bevölkern sie die christliche Ikonographie, aufgeladen mit Bedeutung und Zeichenhaftigkeit:
HASE
Hase, bereits in der altchristl. Kunst als Symbol der „flüchtigen Zeit und des kurzen Menschenlebens“ nachweisbar, überwiegend in der Grabkunst vorkommend. Die Kirchenväter bezogen Spr. Sal. 30, 26 auf die H.n und deuteten sie als Symbol der Heiden und Sünder, die ihre Zuflucht beim geistl. Felsen der Kirche Christi nehmen. Wenn ein H.eine Weintraube verzehrt, gilt das ein Sinnbild der Taufe […]. Andere Deutungen sehen den H. Als Gottessymbol und als […] Hinweis auf die Dreifaltigkeit […] In Jagdszenen verkörpert der Jäger das Böse, den Teufel und die H.werden als die verfolgten Seelen interpretiert […] In christol. Zusammenhängen ist vor allem der bergan laufende H. Hinweis auf die Auferstehung Christi; im mariolog. Zusammenhang ist er im Sinne seiner Fruchtbarkeitssymbolik zu verstehen. Unter den Lastern […] vertritt er wie in der Profanikonographie der Renaissance vor allem die Unkeuschheit (Luxuria)
(Hannelore Sachs u. a., Christliche Ikonographie. Leipzig 1973, S. 159 - 160)
FLIEGE
Insekten. Sie symbolisieren überwiegend das Böse, das Laster, die Sünde sowie Dämonen und Teufel […] An erster Stelle sind in diesem Sinne die Fliegen in bildl. Darst. eingegangn […] Bei den Kirchenvätern und auch noch bei Goethe heißt Beelzebub oder Baalzebub der „Herr der Fliegen und der Mäuse“. Den Kirchenvätern galt die Fliege auch als Sinnbild des Gott fernen Menschen und des Ketzers […](Christliche Ikonographie, a.a.O., S. 186)
WIDDER
W. als Symbol der Auferstehung […] manche W.lämmer an roman. Tympana sind als umgedeutete Tierkreiszeichen zu verstehen, wobei zurückgedrehter Kopf des Tiers die entscheidende Wendung des Himmelsumschwungs andeuten kann […]
W. als Attr. v. Lastern: Die Trad. des W. als Reittier der Venus vulgivaga führt seit HochMA dazu, den W. dem Laster der Luxuria zuzuordnen […]
(Engelbert Kirchbaum (Hrsg.), Lexikon der christlichen Ikonographie. Band 4, Rom-Freiburg-Basel-Wien 1972, Sp. 527 – 528)
Nach einer alten Legende war es auf dem Berg Golgatha, wo der Widder gefunden wurde, den Abraham an Stelle seines Sohnes opferte:
„Entsinnst du dich nicht, daß, als Gottes Engel das Messer aus der Hand des Patriarchen entrissen hatte und auf dem Berg umherwanderte, um ein Opfertier zu suchen, er auf Golgatha einen Widder fand, der mit den Hörnern an einem Olivenbusch hing“
(Selma Lagerlöf, Jerusalem. 1902)
Aber zentral für den Sündenfall ist bekanntlich die Frucht vom verbotenen Baum, gemeinhin als Apfel identifiziert.
ZITRONE
Es gibt aber auch die Lesart, dass es eine Zitrusfrucht war. Bei Goossen van der Weydens Madonna (ca. 1500, im Basler Kunstmuseum) verschmäht das Jesuskind die Brust der Mutter und schaut auf eine zerschnittene Zitrone. Das Kind begreift, dass es selbst einmal zerschnitten und ausgepresst wird wie eine Zitrone.
APFEL
Auf Einzeldarst. Adams und Evas oder der Schlange ist er zugleich Attribut und Symbol des Sündenfalls […] In der Hand der Madonna oder des Jesuskindes ist der A. dagegen Symbol der Überwindung und Erlösung von der Sünde […]
(Christliche Ikonographie, a.a.O., S. 38).
Wenn Eva den Apfel in der Hand hält, so bezeichnet sich damit der entscheidende Moment der Tat. Ein Wechselbad der Gefühle wird sie dabei durchschüttelt haben. Neugier, Freude, Panik, Angst. Aber so wie das Holz, an dessen Ast der Apfel hing, zum Holz der Erlösung wird, kann im Apfel auch die Unversehrtheit der Schöpfung wiederhergestellt werden (weshalb die Herrscher einen „Reichsapfel“ zu ihren Insignien zählen).
Und auch hier gibt uns wieder der Hl. Ambrosius den entscheidenden Wink:
An das Kreuz geheftet hing Christus einem Apfel gleich am Baum und strömte den Duft der Welterlösung aus. Er hat ja den üblen Geruch der schweren Sünde hinweggenommen und das Aroma des Lebenstrankes ergossen […] Allein nicht bloß Wohlgeruch, auch süße Labung bietet der Apfel: Diese köstliche Nahrung ist Christus (Patrologia Latina 15, 1254).
WEINTRAUBE
Aber nicht nur Apfel ist Christus, sondern auch der Weinstock, wie er selber sagte:
Ich bin der wahre Weinstock und mein Vater ist der Winzer. Jede Rebe an mir, die keine Frucht bringt, schneidet er ab und jede Rebe, die Frucht bringt, reinigt er, damit sie mehr Frucht bringt
(Joh, 15, 1 – 2)
Mit offenem Mund
Mitten in einer Säulenhalle war in praller Sonne eine nackte Frau an eine Säule gefesselt: zwei Soldaten peitschten sie; bei jedem Hieb wand sich ihr Körper. Sie hat sich umgedreht, mit offenem Mund… und über die Menge hinweg, durch ihre langen Haare hindurch, die ihr Gesicht verdeckten, glaubte ich Ammonaria zu erkennen…
(Gustave Flaubert, Die Versuchung des heiligen Antonius. Übers. v. B. und R. Picht. Frankfurt a. M. 1996, S. 8).
EVA
Urmutter der Sünde, Verführerin, Urbild des Verderbens.
Urtypus der Frau. Das bleibt das durchgehende Muster durch Jahrhunderte.
So definierte etwa ein mittelalterlicher Kanonist die Frau :
ist ein menstruierendes Tier, durch den Kontakt mit ihrem Blut hören Früchte auf zu wachsen, wird der Wein sauer, sterben Pflanzen, tragen Bäume keine Früchte, verdirbt Rost das Eisen, verdunkelt sich die Luft
(Paucapalea, 12. Jahrhundert, erster Kommentator des Decretum Gratiani. Zitiert in: Stephen Greenblatt, Die Geschichte von Adam und Eva. Berlin 2018, S. 157).
Früchte hören zu wachsen auf, der Wein wird sauer, die Pflanzen sterben: wo Eva lebt, vergeht die Natur. Im Paradies hingegen war der Mensch bestellt als Gärtner, der die Pflanzen und Tiere umhegt, ihnen Namen gibt.
Ein Holz aus dem Paradies hat sich aber gerettet, schwamm durch die Zeiten, barg den Erlöser, verschwand wieder im Erdreich, wurde von einer Frau aufgefunden und eine kranke Frau wurde auf dieses Holz aufgelegt und genas:
Ecce lignum Crucis, in quo salus mundi perpendit !
D I E B E I D E N S C H Ä C H E R
Mit Jesus wurden noch zwei Verurteilte hingerichtet. Ihre Kreuze bilden mit dem Kreuz Jesu in der Mitte seitdem ein Triptychon.
Aus dem apokryphen Nikodemus-Evangelium kennen wir ihre Namen: Gestas und Dimas. Gestas ist derjenige, der Jesus verhöhnt, während Dimas ihn zurecht weist.
In dem Roman Der Meister und Margarita hat Michail Bulgakow, nach dem genauen Studium der apokryphen Evangelien, die Szene beschrieben:
Vom nächstgelegen Pfahl tönte ein heiseres sinnloses Lied. Der hier hängende Gestas hatte drei Stunden nach der Hinrichtung infolge der Fliegen und der Sonne den Verstand verloren, und jetzt sang er leise von Weintrauben , aber sein Kopf mit dem Turban bewegte sich ab und zu, dann erhoben sich die Fliegen träge von seinem Gesicht und ließen sich sich gleich erneut darauf nieder.
Dismas am zweiten Pfahl litt noch mehr als die anderen, denn er war bei Bewußtsein und bewegte den Kopf rhythmisch nach rechts und links, um das Ohr gegen die Schulter zu stoßen.
Glücklicher als die beiden war Jeschua. Schon in der ersten Stunde hatte ihn mehrmals das Bewußtsein verlassen, dann war er gänzlich in Ohnmacht gesunken, und sein Kopf im aufgelösten Turban hing herab. Er war so dicht mit Fliegen und Bremsen bedeckt, daß sein Gesicht unter einer kribbelnden Masse verschwand. Auf dem Bauch, in den Leisten und unter den Achseln saßen fette Bremsen und saugten an dem gelben Leib
(Michail Bulgakow, Der Meister und Margarita. Übers. v. Thomas Reschke. Berlin 2001, S. 226. Hervorhebungen der Fliegen und Weintrauben von mir, T.S. )