
D A N I E L M. E. S C H A A L
A SINGLE MAN
OPENING PERFORMANCE
BRUCE DARNELL / DANIEL M. E. SCHAAL
4. OCT. 2025, 4-8 PM (5. OCT. - 25. OCT.)
A Single Man – Life is But a Weaving
Es gibt nicht wenige, die behaupten, ein Mensch sei erst (wirklich) einer, durch die Begegnung, die Verbindung mit anderen. Keiner ist eine Insel, life is a tapestry. Unsere Sprache ist durchwoben von unzähligen Analogien und Bildern, die darauf verweisen: Liebende knüpfen zarte Bande, die Funktionen neuronaler Netze überspannen. Hirngespinste wabern in Köpfen, verschleiern die Sicht auf die denkbar angenehmste wie mondiale Weise. Die Orientierung am anderen Menschen wird zum Leitfaden des eigenen Lebens, gerne rot gefärbt. Gemeinsam webt man am Geflecht, das einander bindet und an Anderen Anknüpfungspunkte findet, auf dass es Schutzmantel und soziales Netzwerk bilde.
Was geschieht aber, wenn ein Mann einen anderen liebt, mit ihm eine Verbindung eingeht, die Moiren jedoch in ihrer unumgänglichen Unerbittlichkeit jenem nicht nur den Lebensfaden durchtrennen, sondern damit auch das Netz, in dem sein Faden verwoben war, auseinander reißen? Lose Enden und verlorene Maschen bedrohen den Halt des Gewirks, es droht zu zerfallen. Wo starke Knoten zurecht gezurrt waren und zu verbinden wussten, zerfasert ein Leben, das sich an ein anderes knüpfte, in der Hoffnung auf sicheren Pfaden wandeln zu können, in einer Welt, die an versperrten Türen, Irrwegen und anderen Irritation nicht arm ist.
Wo also Halt finden, wenn der Kettfaden dem Gewebe entrissen wurde? Weshalb nicht in Missmut ertrinken, in einer Welt, in der alles eitel scheint, so sie doch so offenkundig die ernsthaften Verbindungen nur allzu oft verweigert, durch Ablehnung, Ausgrenzung oder plattes Desinteresse?
Es scheint als habe der Einzelgänger sein Werkzeugkästchen verloren, Nadel und Faden, das er braucht, um das klaffende Loch zu stopfen, die Nähte zu schließen, die begonnene Arbeit auch ohne das vormals essentielle Material fortzuführen. Ob nun durch Nachlässigkeit verlegt oder gewaltsam genommen – inneren wie äußeren Widerständen zum Trotz findet er sich auf der Suche danach wieder. Er durchwühlt lang Verdrängtes, vergegenwärtigt sich eingearbeitete Routinen, mäandert durch die Banalität seiner Umwelt und erinnert sich schließlich an den Ort, an dem das Handwerkszeug sich verbergen könnte: in der Erinnerung an das Liebgewonnene findet er passende Schnur und im Zauber der Begegnungen die Nadel, die sie zu führen weiß. Der Einzelgänger bleibt nicht gratwandernder Flaneur, sondern lässt sich hinein fallen in das Rettungstuch der Idee vom Menschsein.
Daniel M. E. Schaal kultiviert das Verweben von Erinnerungen, Begegnungen und anderen Fragmenten des Lebensalltags in seinen post-fashion sculptures. Er greift Traditionen der Tapisserie auf. Kulturtechniken zitiert er, die substanzieller Bestandteil der Menschheitsgeschichte sind. Vom Prozess der Herstellung des Arbeitsmaterials durch Zerschneiden abgetragener Kleidung in dünne Streifen bis zur Rezeption der Arbeiten als Erinnerungsträger und der Transformation des Ausgangsmaterials in eine neue, eigenständige Form werden Überlegungen zur Anthropologie verhandelt – und durch das Weben, Knüpfen und Knoten abstrahiert. Die Beschäftigung mit sozialen Kategorien, Teilhabe und Zugehörigkeit formt dabei das Kernstück. Zwischen der banalen Notwendigkeit von Kleidung und ihrer Potenz als Statussymbol entstehen so Textilformen, wie der im Zeitraum von 2016 bis 2023 entstandene Gobelin, die über ihren retrospektiven Charakter Erlebtes sichtbar machen. Er kann als Auftakt der Werkfolge verstanden werden. Die Kleidungsstücke fungieren als Zeugen von Begehrlichkeiten, Wünschen und Begegnungen, speichern Erinnerungen, die so verwoben, in Präsenz geführt werden.
Katharina May