MYRIAM RESCH SEETHROUGH
AUSSTELLUNG 7. Mai - 10. Juni 2022 KÖLN
Ausgewählte Werke (zum vergrößern auf Foto klicken) © by Simon Vogel, Köln
Texte: Claudia Tomaschewski
1
Dein Gesicht ist ja voller Fenster! Du solltest sie schließen. So viel frische Luft ist nicht gut. Das verweht die Gedanken. Fenster gibts ja, damit man sie schließen kann, sonst wärens ja Löcher, wie Nasenlöcher zum Beispiel, die man fürs Atmen braucht und fürs Riechen. Für Türen gilt übrigens Ähnliches: Nach Benutzung sind sie umgehend zu schließen. Also nach dem Reingehen sofort zumachen und nach dem Rausgehen bitte ebenfalls. Natürlich kann man Fenster auch öffnen. Um kurz rauszugucken. Guckt man jedoch zu lange, kann man auch gleich rausgehen. Fenster kann man zudem öffnen, um üble Gerüche und Rauch loszuwerden. Aber auch hier gilt: sind Unduft und Qualm weg, Fenster zu! Und bei Hitze? Lässt man Fenster sowieso geschlossen, weil die Hitze ja sonst reinkommt. Alles nicht so schwer zu merken. Mit den Fenstern in Deinem Gesicht hats aber noch eine eigentümliche Bewandtnis. Geschlossen spiegeln sie so schön die Lichter wieder: Sonnenlicht, Mondlicht, Taschenlampenlicht, Schneelicht, Glühwurmlicht, Ampellicht, Kerzenlicht, Blitzlicht... Alles hinterlässt einen so herrlichen Abglanz auf den kleinen Glasscheiben, die wie unwirkliche Drachenschuppen auf Deiner Haut liegen und irisierend funkeln, dass ich gar nicht weiß, ob sie nun blau oder violett sind oder golden oder doch grün. Und so schaue ich Dich an und lasse mich blenden von tausend Funken, die aus Dir kommen. Und dazwischen sehe ich ein bisschen mich, etwas zerteilt und irgendwie schief, aber ich erkenn mich ganz gut, das Wesentliche zeigt sich. Ich hoffe nur, dass Du auch was siehst durch diese schimmernden Flächen, die übrigens herrlich melodische Klirrgeräusche machen, wenn Du lachst. Du klingst wie ein Windspiel. Darin besteht allerdings auch die Gefahr: Wenn Du zu lange lachst oder zu heftig, dann öffnen sich die vielen Fensterchen und man kommt gar nicht mehr hinterher damit, sie wieder zu schließen. Eigentlich schön, wenn Dein Gesicht so bunt flackert. Aber ich bleib dabei: Mach lieber zu. Fenster gibts ja, damit man sie schließen kann, sonst wärens ja Löcher.
2
Sie legt sich hinter seine Augen und schaut hinaus. Kaum erkenntnisreiche Augenblicke, denn sie erkennt nichts. Nicht einmal sein Spiegelbild. Erst denkt sie, das ist sein Bruder. Aber sogar die Bäume und der Himmel, alle Farben sehen merkwürdig aus, wie vertauscht oder was ganz anderes. Vielleicht ist er deswegen so oft still, weil er die Dinge nicht benennen kann. Wie soll man so viel Uneindeutigkeit auch in Worte fassen? Und vielleicht kann er deswegen seinen Bruder nicht leiden, weil er sich von ihm nicht unterscheiden kann. Womöglich eine Art der autogenen Augenwischerei. Das kann man jetzt gut finden oder nicht, aber Tatsache ist: Man muss genau hinschauen! Darf den Blick nicht abwenden! Und wenn man glaubt, etwas zu sehen, dann muss der Blick noch schärfer gestellt werden, bis man die eigentlichen Formen zwischen den Bedeutungen erkennt. Also wandern ihre Augen durch seine an der Welt entlang. Von zinkgelben Dreiecken zu ultramarinen Rechtecken und von rosafarbenen Quadraten zu milchweißen Rauten und bald schon fängt sie an, sich nach Farblosigkeit zu sehnen, nach Klarheit. Und so kriecht sie wieder aus dem Freund heraus, fällt aus seinem Augenwinkel wie ein kleiner Tropfen, der zu einem großen Menschen wird, ganz fest und schwer. Als würde sie zum ersten Mal ihre Augen öffnen, so fühlt sie sich. Hätte sie das gewusst, hätte sie es vielleicht gelassen. Obwohl alles verschwommen ist und die Farben durcheinandergeraten sind, bemerkt sie, wie er sie mit seinen Mosaikaugen, seinen mandelförmigen Kaleidoskopen mustert. Wie lange soll das so bleiben? Hoffentlich nicht länger als ein paar Stunden, denkt sie und will sich hinlegen. Sie bittet ihn um ihre Schlafmaske und darum, die Vorhänge zuzuziehen. Die Dunkelheit sei jetzt wichtig. Sie werde alles wieder richten, den Blick geraderücken und die Farben wieder an ihren Platz zurückbringen. Wenn ich aufwache, sagt sie, wird alles wieder so sein wie immer. Und falls nicht, fährt sie fort, dann werde ich eben wieder hineinmüssen in Dein Panoptikum.