CORNELIUS QUABECK GLASCHU PART I

AUSSTELLUNG 8. Februar - 28. März 2020   KÖLN

Ausstellungsansichten © by Simon Vogel, Köln

Ausgewählte Werke (zum vergrößern auf Foto klicken) © by Simon Vogel, Köln


My Super Scottish 19

Ankunft in Glasgow im Januar 2016, ein Samstag. Die ganze Stadt war unter einer dicken Schneedecke versteckt, die Straßenlaternen gaben ein gelboranges Licht. Um die Ecke bog Michael mit dem Atelier in einer ehemaligen Polizeistation und Platz zum Unterstellen der mitgebrachten Möbel, Bücher und Klamotten, vorübergehend.

Wenige Wochen später dann die neue Wohnung, im Erdgeschoß, im West End von Glasgow, wo die geographische Lage auch der Stadtteilname ist. Auf der Wilton Street, in der Nähe von Universität und botanischem Garten gelegen, oberhalb der Great Western Road mit ihrer Brücke über den Kelvin mit den schwimmenden Hunden und den Resten einer Wassermühle. Neeps und Tatties von Roots&Fruits, Pizza bei Paesano, Bier und Wein von Vanhalla’s Goat, Kuchen und Sandwiches von Cotton Rake mit dem David Shrigley Neon „Donut Repair“ im Fenster und Gitarren von CC Music. Der Walk of Shame mit den leeren Flaschen zum lila Glascontainer, der fast immer schon voll war und im zweiten Jahr ein Geschwisterchen bekam, auf Anhieb genauso groß und genauso lila und nach kürzester Zeit auch voll. Joggen am Kelvin längs durch den Kelvingrove Park, an Lord Kelvin vorbei (minus 273,15 Grad Celsius) zum River Clyde mit viel mehr Wasser und teilweise sogar Meerwasser.

Durch den nassen Park laufen und denken, wie verrückt zu wissen, dass alles, was völlig neu ist, über die nächsten drei Jahre vertraut werden wird, ein temporäres neues Zuhause.

Die Wohnung war ein One-Bedroom-Flat, was heißt, dass die Wohnung zwei Zimmer hatte, ein Schlafzimmer (nach vorn zur Straße) und ein Wohnzimmer (nach hinten, zum Garten, zur Stadt, Blick nach Süden). Das Wohnzimmer war riesig mit einer Deckenhöhe von 380 cm. Auf der Stirnseite befand sich das Fenster, aus sechs Glaspaneelen bestehend, die unteren drei Segmente zum Öffnen durch Hochschieben. Das Haus ist von 1880, der Fensterrahmen war es möglicherweise auch, es zog furchtbar und sorgte dafür, dass das Zimmer kalt blieb. Nach einem halben Jahr als Mieter versprach Landlord Neil eine Doppelverglasung. Er hielt sein Versprechen und so war ab Sommer 2016 jedes schottische Wetter im Wohnzimmer bestens auszuhalten. Die Sicht nach Draußen, über Häuserdächer hinweg, war spektakulär. Im Winter glühte der Abendhimmel, je dunkler es wurde, desto mehr schien die Stadt selbst zu glimmen. Im Frühjahr wurde alles grüner. Der Blick aus dem Fenster war eingerahmt von mimmer mehr Trieben, Bäumen, Blättern, die es ernst meinten und das meiste aus dem zarten Frühling und dem stellenweise warmen, dann doch wieder eher fragwürdigen Sommer rausholen wollten. Es wurde Herbst, es war das Jahr 2017, hinter einer Doppelverglasung wechselten Jahreszeiten. Die Zeit schien zu rasen. Ob ich den Blick aus dem Fenster wohl festhalten könnte, jeden Monat eine gemalte Erinnerung?

19 Bilder, 22 x 20 Inches, Acryl auf Leinwand. Stellenweise mit bemalter Rückseite, weil mir nach einer Weile die Leinwand ausging und ich vergleichbares Material in Glasgow nicht finden konnte. Also spannte ich alte Bilder ab um deren Rückseite zu bemalen. 19 Fenster, im Wohnzimmer gemalt zwischen Oktober 2017 und September 2018, ohne Fotos, nur Gucken. Je mehr ich schaute, je länger ich malte, desto mehr verstand ich, desto klarer sah ich. Etwas anschauen und dann das Gesehene übersetzen in Pinselstrich und Farbe. Architektur war nie mein Ding in der Malerei, gerade Linien auch nicht. Organisches, Tiere, Menschen, das fand ich spannend. Das .berprüfbare der Perspektive: Wie hoch ist das Fenster, was macht die Regenrinne, wie weit kommen die Äste ins Bild, wo ist der Horizont und warum sieht man da manchmal Windräder und dann wieder nicht? (Mit Brille sieht man sie eigentlich immer). Angefangen habe ich mit zwei Bildern zur gleichen Zeit in der Hoffnung, das beide einander bedingen und verbessern, und ich nicht betriebsblind werde beim Malen. Später dann aber immer nur eins nach dem anderen. An manchem habe ich mir fast die Zähne ausgebissen, Wolken gejagt, die Dämmerung skizziert und dann das Licht angemacht um zu überprüfen (schwierig, weil dann Draußen alles viel dunkler wirkt, als es eigentlich ist). Im März 2018 schneite es und der Schnee blieb auf den Dächern liegen. Ich hatte keinen passenden Keilrahmen, also habe ich ein fertiges Bild abgespannt und den Rahmen für eine neue Leinwand verwendet und während des Malens die ganze Zeit Sorge gehabt, das Resultat könnte aussehen wie ein Adventskalenderbild.

Das letzte Bild des Jahreszyklus habe ich aus Sorge vor dem Umzug nach Düsseldorf Mitte September schon im August angefangen und die letzten Striche bis in den nächsten Monat hinausgezögert. Dann aber war noch soviel Zeit und auch noch ein Stück Leinwand übrig, gefunden beim Aufräumen hinter dem Sofa, dass ich auch noch ein allerletztes Bild malte. Spätsommerabendhimmel mit soviel Blau, dass selbst der Sandstein einen Stich bekommen hat. Ich hab’s genau gesehen, zum Ende hin.

CQ