GEESCHE ARNING RUGS

AUSSTELLUNG 12. Januar - 9. Februar 2019   KÖLN

Ausstellungsansichten © by Simon Vogel, Köln

Ausgewählte Werke (zum vergrößern auf Foto klicken) © by Simon Vogel, Köln


Ein graues Laken liegt nun wieder über der drei Grad kalten Stadt. Sie sagen, es soll wärmer werden, aber man fühlt es nicht. Gestern schenkte uns der Tag einige Sonnenstrahlen und dann, Abends, natürlich längst im Gewand der Winternacht, stand ich in diesem Raum, in dem sie sich nun auch befinden. Ich muss zugeben, ein wenig ungehalten ob Ihrer Präsenz zu sein. Nehmen Sie es nicht persönlich. Es ist wie an diesen Weihnachtstagen der Kindheit, wenn Sie das Glück hatten, beschenkt zu werden und es meist nicht abwarten konnten, diese Geschenke den Freunden zu zeigen; doch hin und wieder wollten Geschenke nicht geteilt werden, ihre Faszination suchte stille Innigkeit. Auf dem warmen Teppichboden liegend, folgten wir der Verführung in eine andere Welt.

Die Kunst begann irgendwann, sich vor dieser Intimität zu fürchten. Sie empfand sich als überfrachtet von den Ansprüchen des Gegenüber, wie viel freier wäre sie, wenn sie die Ansprüche bestimmen könnte. Das Gegenüber wurde auf diesem Weg zum Betrachter. Nachdem Arts and Crafts und der Jugendstil versucht hatten, die Grenzen aufzulösen, alles Kunst sein zu lassen und damit auch einen Alltag mit Kunstgegenständen möglich zu machen, besann sich die Kunst auf das, was sie einst darstellte: Heiligkeit. Nun wurde sie selbst heilig, sie verschloss die Tür, so wie die strenge Kirche der Protestanten oder die Eltern zu ihrem privaten Zimmer.

Wie ein weiches Pergament liegt er da, der von Geesche Arning getuftete Teppich mit dem Grundriss einer kleinen Rokokokirche. Für ihre Farbpunkte musste Kunstfaser verwandt werden, da diese intensive Farbigkeit nicht mit natürlichen Färbungen erzielt werden kann. Wir sind gewarnt und doch fasziniert von dem Gedanken, die Klinke drücken zu können und einzutreten. - Davon berichtet dieses Werk. Doch zugleich verknüpft es uns mit dem Traum und eine ihm innewohnende Sehnsucht, repräsentiert es subtil und machtvoll.

Diese Sehnsucht als Regression zu verstehen, könnte, um im Terminus der Psychologie zu bleiben, seinerseits eine Verdrängungsleistung bedeuten. Wünsche jenseits des Erlaubten, gleich dem unterdrückten Impuls, eine Skulptur berühren zu wollen, sind gezeichnet von Konventionen. Doch Geesche Arnings Werk intensiviert diesen Wunsch nach Übertretung, bis hin zur Verwirrung im Begrifflichen. Kunst oder Gebrauchsgegenstand? Dürfen oder nicht? Was hält die Türe verschlossen? - Unsere Furcht vor den Konsequenzen, sie zu öffnen. Betreten als Übertretung, auch als Akt der Grobheit. Und dann eben diese Idee, sich auf dem einladenden Untergrund niederzulassen.

Selbst das kleinere Werk an der Wand mit seiner, an Kleckse oder an ein Ausrufezeichen erinnernde Form singt uns diesen Sirenengesang: Komm näher, siehe, fühle, lege deinen Kopf hier hin, um aus der Nähe zu erleben, wie gestrickte Strukturen in das getuftete Material eingearbeitet sind oder sich die verdrillte Wolle, wo sie hier und da dem Rotationsmesser der Tuftingpistole widerstand, schilfgleich erhebt.

So blickt die Vorstellung auf Landschaften. Erst recht, wenn sie, gleich Veloursteppichen im vorderen Raum, zu einer dreidimensionalen Fläche drapiert wurden. Hier dienen sie als unromantisches Trägermaterial für Photographien Geesche Arnings, wobei es falsch wäre, Bild und Bildträger auseinanderzudenken. Das Material besänftigt die kantigen Reflexionen der Bildmotive. Eine irritierende Qualität, vielleicht an Meret Oppenheims Gespür für Materialität erinnernd, aber fern ihrer Garstigkeit. Im Gegenteil, was neben der optischen Reflexion auch den geistigen Vorgang meint, wird zu einem analytischen Portrait der Gedankenwelt, die es einerseits auf eine strukturelle Weise abbildet und zugleich seine Einladung wiederholt. Man könnte sich setzen, gar ausstrecken, sinnierend an die Decke blicken oder silberne Kugeln, gleich den elektrischen Impulsen im Gehirn über das Nervenzellenmuster rollen lassen.

Vielleicht wäre dies mein Plan gewesen, die Metallkugeln klackern noch verräterisch in meiner Jackentasche, doch nun ist alle Privatheit hin. Erstaunlich, wie die Privatheit jene wundervolle Erfindung des Bürgertums, als Offerte und als deren Versagung Geesche Arnings Werk gestaltet, im Dienste der Spannung, ja des Zweifels, aber auch, als Vision der Versöhnung, irgendwann, irgendwo in einem anderen Raum.

Hinter der Gedankenlandschaft hat längst die Nacht sich wieder den Raum erobert. Nieselt es? Was könnte uns veranlassen fortzugehen? Doch wenn wir bleiben, der Blick auf den Werken, verzieren diese, auf ihre stille Weise, unsere Idee von Kunst mit Fragezeichen. Wer sich derart verunsichern lässt, darf sich dabei auch wohlfühlen. Oder doch die Hand vor dem Griff an die Klinke zurückweichen lassen, den Raum nicht betreten. Die Hand ist frei, ich könnte mir noch ein Glas Wein holen, jetzt, es ist ein guter Wein. Bloss nicht schlabbern!

Oliver Tepel