SOPHIE ESSLINGER GALATHEA

AUSSTELLUNG OPENING 21. JUN. ( 22. JUN. - 19. JUL. 2024) KÖLN

Ausstellungsansichten © by Simon Vogel, Köln


SOPHIE ESSLINGER

GALATHEA

Eine Beschäftigung mit Transgressionen der Wahrnehmung kommt in den Werken von Sophie Esslinger ebenso zum Vorschein wie eine Gestaltung, die dieser Dynamik Einhalt zu gebieten versucht und durch Formprinzipien des Zeichnerischen bedingt ist. Ihre Arbeiten spiegeln die Begeisterung für Malerei, Grafik und Zeichnung, die wesentlichen Malmittel sind Tusche, Öl und Acryl. In ihren Bildern greift die Malerin gedankliche Motive auf, wie sie mit der Romantik in Verbindung stehen und ihre Fortführung in Symbolismus und Surrealismus erfahren. Diese Anerkenntnis des Anderen der Vernunft lotet Schwellenmomente zwischen Realem und Irrealem aus, wendet sich Innenwelten aus Gefühl, Traumhaftem und Halluzinativem zu und erprobt auf diese Weise Möglich- keiten des Andersseinkönnens.

Für diese Möglichkeiten findet Sophie Esslinger einen prozessualen Ausdruck der Entgrenzung und Formauflösung, Identitätsfindung und -vermeidung. Diese innere Dynamik wird auch im Verwandlungspotential bildnerischer Mittel virulent – Künstlerin und Betrachter:innen sind hierbei in einem prozessualen Geschehen vereint, das sich in einer Wiederbegegnung mit wandelnden Motiven fortführt, wie es insbesondere in den kleinformatigen, gereihten Bildern Aufmerksamkeit erregt. In den Formanmutungen von Blumen, Sonnen oder Augen geben sich Landschaften als auch Körper zu erkennen, mitunter wird der Blick über Pfeile gelenkt, die Sichtachsen weisen. Linien, Farbe und Maßstab, aber auch Kompositorisches und Details rücken buchstäblich ins Auge der Betrachter:innen. Gesehenes, Empfundenes und Gedankliches werden bei Esslinger als etwas Abgebildetes reflektiert. Ovale Objekte, Kugel- und Kreisformen sind es, die sich zu Tropfen und Tränen formen und sich in einer Reihe von Augenmotiven fortschreiben. Angelegt zeigt sich das auch in Titelgebungen wie träne (orange), falsche träne, wimper & muschel oder kyklop.

Schon in der Geschichte des Auges (1928) von Georges Bataille wird in ständiger metaphorischer Verschiebung des Auges sein Sinn entleert – vom hellen Aufklärungssinn, herrschend normierenden Prinzip des Geistigen und rationalisierendem Erkenntnissinn zum Abjekten und zu Vorstellungswelten, die sich im Überschreiten gesellschaftlicher und institutioneller Autoritäten auch der Sprache entziehen. Diese Grenzüberschreitung versteht sich als Affirmation überschüssiger Energien im Zeichen einer verschwenderischen Logik jenseits bloßer Funktionalisierung und konkreter Form. Prinzipien der Repräsentation werden unterlaufen, eine Gegenläufigkeit zur festen Form des Bestehenden akzentuiert. Jene Spuren von Wahrnehmungs- und Transformationsprozessen sind es, die Esslingers Bilder auf zuweilen düstere, aber auch spielerische Weise entfalten. Insofern gibt sich der Ausstellungstitel als allegorische Anmutung zu erkennen, die auf Lebensstrom und Sinnlichkeit verweist, (Ver-)Wandlung und Prozessualität in den Blick rückt, um an die Stelle der Imitation abbildnaher Wirklichkeit dynamisch evokative Forminhalte treten zu lassen. Wie ein Sprung in den Strom somatischer Daseinsweisen, die der Vernunftwelt immer auch ein Stück weit entfliehen.

Die Wassernymphe Galatea, der die aktuelle Ausstellung von Sophie Esslinger ihren Titel entlehnt, ist als mythologische Figur vielfältig aufgeladen und nicht zuletzt seit Raffaels ikonischem Fresko jener auf dem Muschelwagen durch die Fluten gleitenden, triumphierenden Galatea das Sinnbild einer bestimmten Unbestimmtheit. Von der antiken Literatur bis ins 18. Jahrhundert tritt sie immer wieder als Objekt des Begehrens und Projektionsfläche einer männlich dominierten Formung in Erscheinung und wird schließlich auch namensgebend für die bei Ovid ursprünglich namenslose und zum Leben erweckte Statue, in die sich der Bildhauer Pygmalion verliebt. Ihr wohl berühmtester Mythos erzählt von der Werbung des einäugigen Riesen Polyphem für die schöne Nymphe, von unerfüllter Sehnsucht, unüberwindbaren Gegensätzen und überwältigenden Affekten. Die ihr von dem Kyklopen entgegengebrachte Liebe weist sie zurück und bekommt den auf sich geladenen Zorn bitter zu spüren: Acis, ihr Geliebter, wird von dem eifersüchtigen Riesen mit einem Felsbrocken brutal ermordet. Galatea bleiben von dem zerschmetterten Acis einzig die Blutströme, die sie in einen Fluss verwandelt, der ins Meer mündet. Verortet in der Nähe von Acireale auf Sizilien, lässt sich dieser Fluss mit seiner ehemaligen Lage am Ätna aufgrund der lavareichen Vulkanausbrüche heute nicht mehr bestimmen.

»Es ist niederträchtig und gemein, anders in das Leben eindringen zu wollen als mit jener inneren Glut, die das Leben ist.« (Georges Bataille)

Julia Martel