THOMAS ZITZWITZ NOCTURNE
AUSSTELLUNG 2. September - 7. Oktober 2023 KÖLN
Ausstellungsansichten © by Simon Vogel, Köln
Werke (zum vergrößern auf Foto klicken) © by Simon Vogel, Köln
Mehr wunderlich als wahr. Ich glaube nicht
An diese Märchen, diese Feenzauber.
William Shakespeare, Ein Sommernachtstraum (V,1)
Nocturne
Die Galerie Norbert Arns zeigt unter dem Titel Nocturne neue Aquarelle und Gemälde von Thomas Zitzwitz. Sie hebt damit eine Verbindung von Malerei und klassischer Musik hervor, die für den Künstler wichtig ist. Zitzwitz entstammt einer Musikerfamilie und wollte selbst Musiker werden, bevor er sich für die bildende Kunst entschied. Das lässt sich seinen Bildern noch ansehen, die eine durch und durch musikalische Qualität haben. Die Farben und Formen stimmen zusammen wie die Töne in der Musik. Die Kompositionen sind rhythmisch strukturiert, die Farben bilden Akkorde, harmonieren, dissonieren – klingen. Das macht die Anmut oder Grazie der Bilder aus, ihre Finesse. Sie ähnelt dem transitorischen Reiz der Musik, der weniger Stoff zum Denken als Stoff zum Fühlen gibt.
Dieses Gefühl ist für Zitzwitz eine Kippfigur, gerade dann, wenn es um die Nocturne geht, die ja auch eine Figur des Übergangs und der Ambivalenz ist. Nocturne heißt, es wird nächtlich. Der Tag geht, die Nacht kommt. Die Sonne entschwindet am Himmel und überlässt ihn nach und nach der Dunkelheit, aber nicht ohne vorher noch einmal ein berückendes Schauspiel ihrer schönsten Klangfarben zu geben. Die blaue Stunde. „Eine Schale später Rosen“, nannte sie derDichter Gottfried Benn in einem Gedicht an seine letzte Geliebte.
Wir spüren diese Ambivalenz auch in den musikalischen Nocturnes, den Klavierstücken Chopins, in denen der Mond über dem Piano steht und dieses hell glänzen lässt, oder in Felix Mendelssohn Bartholdys Musik zu William Shakespeares Ein Sommernachtstraum. Es ist ein Gefühl, das wir verharmlosen, wenn wir es als melancholisch oder melodramatisch bezeichnen. Denn es ist nicht die Mitte zwischen Heiterkeit und Trauer, dem Komischen und dem Tragischen, sondern der Wechsel und die Gleichzeitigkeit der Extreme, eine Gefühlsbewegung wie die Musik. Der Himmel ist nicht halb hell, wenn es Nacht wird, sondern hell und dunkel zugleich. Das eine geht, das andere kommt. Hell und Dunkel tanzen, ringen oder spielen miteinander. Ebenso mischt Zitzwitz nicht seine Farben zu einem graubraunen Brei ineinander, sondern setzt sie in eine detaillierte und nuancierte Komposition zusammen oder gegeneinander. Indem seine Bilder unseren Blick herausfordern, diesen Nuancen und Details zu folgen, schulen sie unsere Aufmerksamkeit für die Gleichzeitigkeit des Verschiedenen und nähren unsere Skrupel gegen ein gleichgültiges Summieren der Unterschiede. Auch Shakespeare teilt uns das Bitterste über den Menschen in seiner Komödie mit, relativiert es damit aber nicht. Der Sommernachtstraum ist heiter und ernst, tragisch und komisch, ja Traum und Wirklichkeit zugleich, aber nicht halbreal.
Am besten trifft es vielleicht Brecht, der in seiner Fassung von Lenz‘ tragikomischen Stück Der Hofmeister den Heldenganz am Anfang vor den noch geschlossen Vorhang treten und mit entsetztem Gesicht fragen lässt: „Soll das Komödie sein?“ Mit diesem Tritt vor den Vorhang reißt Brecht die vierte Wand im Theater ein und schafft eine große Nähe zum Publikum. So einen Tritt vor den Vorhang hören wir auch bei Chopin und Zitzwitz vollzieht ihn ebenfalls. Er tritt in der Ausstellung vor die Leinwand und eröffnet damit eine besondere Spannung zwischen der Oberfläche der Bilder und der Tiefe der Seele.